philo.slam – Meine unvergessliche Nacht der Philosophie

Du sollst den Tag nicht vor dem Abend verfluchen

Der heutige Tag begann ziemlich mühsam: Stress und Herumgehetze zwischen 3 sich überschneidenden Seminaren, eine ziemlich lächerliche Anwesenheitsdiskussion und das schier unmögliche Unterfangen, einen Exkursionstermin zu koordinieren. Wie auch immer, ich hatte bereits am Morgen offiziell beschlossen, mir am Nachmittag frei zu nehmen, um für den bevorstehenden Abend vorschlafen zu können – und das hab ich dann auch getan.

Der Weg zum Veranstaltungsort hätte im Idealfall eine halbe Stunde gedauert – doch irgendwie hatte ich Öffi-Pech; sowohl der Bus als auch die U-Bahn als auch die Straßenbahn sind mir jeweils vor der Nase davongefahren. Der kalte Wind blies durch die Straßen und es regnete leicht. Ich war nervös, denn ich sollte schon vor Ort sein. Schrieb dem Veranstalter eine SMS, dass ich unterwegs war und sie nicht ohne mich anfangen sollten. Er beruhigte mich mit den Worten: „Kein Stress“. Okay.

Überraschungen

Endlich angekommen fühlte ich mich zum ersten Mal an diesem Tag „richtig“. Auf den ersten Blick keine bekannten Gesichter aber eine gemütliche Location mit Wohnzimmeratmosphäre, und Moderator und Veranstalter begrüßten mich freudig. Ich ließ meinen Namen auf die Liste setzen und suchte mir einen Platz. Mein Blick streifte durch die immer voller werdenden Sitzreihen und blieb an der Bar hängen – ha, da saß doch tatsächlich eine meiner Seminarleiterinnen (ironischerweise genau diejenige, der ich am Morgen geschrieben hatte, dass ich am Nachmittag nicht in ihr Seminar kommen würde). Sie strahlte mich an und begrüßte mich mit: „Wie schön, ich hatte gehofft, Sie heute hier zu sehen!“ Der Ärger des Tages war verflogen. Ich krallte mir den Stuhl gleich neben ihr und wir plauderten und lachten, bis Moderator Markus schließlich den Abend eröffnete.

Nach dem üblichen Anfangsprozedere (Regeln erklären, Jurytafeln verteilen, Applausübungen sowie Schnipstraining und Extrapunkt-Regel usw.) wurde die Reihenfolge der Auftritte gelost. Die Glücksfee zog den Zettel mit meinem Namen als erstes aus dem Beutel, ihm folgten 5 weitere Namen. Okay, ich hab noch ein paar Minuten, dachte ich.
Nichts da – anstelle des Opferlamms (traditionellerweise wird ja zu Beginn außer Konkurrenz ein Text vorgetragen, um das Publikum einzustimmen) kündigte Markus sofort mich an und bevor ich wusste, was los war, hatte mich der Applaus ans Mikrofon getragen.

Die Vorrunde

Zur Auflockerung erzählte ich eine kurze Geschichte zur gänzlich ungeplanten Entstehung des Textes, der nun folgte. Der Vortrag lief gut, ich war zufrieden, und dem Applaus nach zu urteilen hat´s dem Publikum auch gefallen. Ich nahm wieder Platz. Nach dem 2. Text kam das erste Voting des Abends. Ergebnis: Punktegleichstand. (Üblicherweise kommt der/die Bessere weiter ins Finale – Markus hatte aber schon im Vorfeld entschieden, dass es heute kein K.O.-System geben würde sondern am Ende der Vorrunde die beiden PoetInnen mit der höchsten Punktezahl aufsteigen würden). Nach der Vorrunde gab es einen Sieger, und mit nur einem Punkt Abstand lagen drei PoetInnen ex aequo auf Platz 2. Ich war eine davon, und mit der Aussicht auf ein Vierer-Finale schickte uns Markus in die Pause.

Normalerweise dauern mir die Pausen immer viel zu lange, doch diesmal schien sie mir fast zu kurz! Vor lauter Plaudern mit Leuten, die mich über meine Texte und andere Veranstaltungen ausfragten oder mir sagen wollten, dass ihnen mein Text gefallen hatte (das geht jedes Mal runter wie Öl, Leute, JEDES MAL!!), hatte ich mich viel zu spät in die Kloschlange eingereiht. Markus kündigte an, dass es gleich weitergehen würde, und plötzlich wurde ich mit den Worten „Sie müssen ja gleich wieder auf die Bühne!“ vorgelassen. Haha, das hatte etwas von VIP-Feeling.

Das Finale

Meine Seminarleiterin, die schwer begeistert von dem Abend war (ihr erster richtiger Slam), entschloss sich, nicht wie geplant in der Pause zu gehen sondern sich auch das Finale anszusehen. Die Reihenfolge der Auftritte wurde erneut gelost – diesmal aber nicht im Vorfeld, sondern Markus zog der Spannung zuliebe immer nur einen Zettel aus dem Beutel. Ein Teil von mir verfluchte ihn dafür – als ob das Ganze nicht schon so aufregend genug wäre!?! Ich war letztlich Nummer 4 und fand das sehr amüsant; ist mir noch nie passiert, dass ich einen Abend sowohl eröffne als auch beschließe 🙂

Während ich kurz mit dem Publikum plauderte, als Intro für meinen folgenden Text, ging die Tür auf und zwei mir bekannte Gesichter betraten den Raum. Offenbar kamen die beiden Kollegen gerade von einem anderen Slam – es gab an diesem Abend mehrere Veranstaltungen. Mit einem von ihnen bin ich bereits auf der Bühne gestanden, der andere (für mich der Keith Richards der heimischen Slam-Szene) kannte mich noch nicht. Obwohl mein Herz plötzlich bis zum Hals schlug ließ ich mich nicht ablenken (echt, manchmal staune ich über meine Souveränität in solchen Situationen) sondern begann, meinen Text vorzutragen, blendete alles andere aus und genoss diese paar Minuten, begleitet von gebannter Stille im Publikum, in vollen Zügen.

Das Voting

Danach nahm ich wieder auf meinem Sessel Platz und es folgte das letzte Voting des Abends. Ich konnte von meinem Platz aus die Punktetafel auf der Bühne nicht sehen und orientierte mich an den Votingkarten, welche die über den ganzen Raum verteilte Jury auf Kommando in die Luft hielt. Plötzlich sah ich mehr 10-Punkte-Karten als bislang an diesem Abend, die Stimme des zählenden Moderators vermischte sich mit mit Jubelrufen, Klatschgeräuschen, aufmunternden Blicken in meine Richtung und einem ziemlich schwammigen Gefühl in meinem Kopf…ich überschlug das Ergebnis, irgendwie fehlte es mir an Konzentration…dann forderte das Publikum den berühmten „Extrapunkt“ ein, der im Finale doppelt zählte und ich weiß nur noch, dass ich da saß, ungläubig den Kopf schüttelnd und zugleich wissend, dass dies ein magischer Moment war. Markus verkündete amüsiert: „Wir haben eine Siegerin – aber wir verraten es ihr noch nicht!“ und rief noch einmal alle PoetInnnen des Abends auf die Bühne.

Die Siegerehrung

philoslam2015Die folgenden Minuten erlebte ich wie im Halbschlaf. Markus verteilte Bücher an alle TeilnehmerInnen, las noch einmal das Endergebnis vor und hängte mir das „Spendensackerl“ (ein Beutel, der im Laufe des Abends durch das Publikum wandert und allen die Möglichkeit gibt, irgendetwas für den Sieger hineinzuwerfen) um den Hals.

Während er sich bei uns und bei den Veranstaltern bedankte wanderte meine Hand in seine Richtung und griff nach dem Mikrofon (es ist Tradition, dass der Gewinner des Abends sich abschließend beim philoslam2015_1Moderator bedankt und kräftigen Applaus für ihn einfordert). Markus hörte nicht auf zu reden, machte Werbung für andere Veranstaltungen oder sonst etwas, ich weiß es nicht mehr. Unter allseitigem Gelächter und mit verschmitztem Blick ins Leere zog ich ihn samt Mikro immer näher an mich heran, bis er schließlich fast kippte, das Mikrofon losließ und ich die letzten Worte an das Publikum richten konnte.

Freudentaumel und ein Kniefall

Glückwünsche, Handshakes, Küsse, Umarmungen, Schulterklopfer, anerkennende Blicke und Kommentare begleiteten mich zurück zu meinem Platz. Das alles fühlte sich total surreal an. Meine Seminarleiterin strahlte und ich kam mir vor als könnte ich nie wieder aufhören zu grinsen. Da kam einer der beiden verspäteten Kollegen auf mich zu, gratulierte und erklärte mir, dass sie (wie vermutet) gerade von einem anderen Slam gekommen waren, bei dem er gewonnen hatte. Ich freute mich für ihn und plötzlich stand der zweite Kollege (ihr erinnert euch, „Keith Richards“, besser bekannt als „Tschif“) vor mir. „Also ich hab ja leider nicht alles gehört, aber das war schön…das war soooo schön…wirklich schön…“, und zu seinem Kollegen fuhr er fort: „…und wieso kennst DU diese Frau und ich nicht?!“ Ich musste lachen.

Er erzählte mir etwas über einen Slam, den er im Süden des Landes regelmäßig abhielt und als er mich fragte ob ich ihn auf Facebook adden würde und mir gerade seinen Namen nennen wollte, erwiderte ich: „Werd ich machen, Tschif!“ Er stockte und ich ergänzte lachend:“Na, nur weil du mich nicht kennst brauchst du ja nicht glauben, dass ICH nicht weiß, wer du bist!“ Er sah mich an, ging vor mir auf die Knie, nahm meine Hand und küsste sie. Dann stand er wieder auf und fragte: „Hat dir heute eigentlich schon jemand gesagt, wie bezaubernd du bist?“ Ich tat kurz so, als würde ich nachdenken und erwiderte: „Nein, heute noch nicht!“ Tschif brach in schallendes Gelächter aus und rief dem Kollegen zu: „Die Frau ist großartig!“

Vielen Dank für die Blumen

Ich verabschiedete mich von allen, die ich kannte, plauderte am Weg nach draußen noch mit ein paar Menschen und machte mich auf den Heimweg. Da ich nicht auf die Straßenbahn warten wollte, ging ich die knapp 1,5 Kilometer zur U-Bahn zu Fuß. Der Wind war eisig, aber das machte mir nichts aus. Vollgepumpt mit Glückshormonen schickte ich SMS an sämtliche Leute, die mir einfielen – wohl um sicherzugehen, dass ich morgen früh nicht glaubte, der Abend wäre bloß ein Traum gewesen. Ich war nicht darauf gefasst, dass noch so viele von ihnen munter waren…jedenfalls war ich eine gute dreiviertel Stunde mit SMSen und Telefonieren beschäftigt, sodass ich plötzlich vor meiner Haustür stand ohne mich tatsächlich an den Heimweg erinnern zu können.

Zuhause angekommen inspizierte ich dann auch meinen Gewinn – und das war wirklich lustig 😉

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